Juni 2016. Für die Branche völlig überraschend erhöht die Börsenvereinstochter MVB die Preise für das Verzeichnis Lieferbarer Bücher (VLB). Auf den Buchtagen in Leipzig zur Rede gestellt, gibt der Geschäftsführer Ronald Schild eine überraschende Antwort: Die Qualität der Daten sei so gut geworden, dass gut 60% der Titel den Goldstatus erreicht hätten und somit die Kalkulation nun nicht mehr passe. Wenige Tage, aber viele Proteste später, folgt auf den Vorstoß der Rückzug. Erhöht werden die Preise erst 2017. In der Sache ändert sich allerdings nichts, denn die MVB hat ein Problem, über das sie nicht redet.
Die Hintergründe zur VLB-Preiserhöhung
Man erinnere sich: Der Grund für die Einführung des „Goldstatus“ beim VLB war es, die Qualität der Daten im Wettbewerb mit Amazon deutlich zu verbessern. Für Daten mit erreichtem Goldstatus wurden die Kosten im Vergleich zu den anderen gesenkt. Doch das implementierte Verfahren hat eine Schwachstelle, mit der die Qualitätsoffensive für das VLB leicht unterlaufen werden kann: Es gibt offenbar keine inhaltliche Qualitätskontrolle, geprüft wird primär die Datenvollständigkeit.
Nach Informationen von Narses wurde nur bei rund einem Drittel der Goldstatus-Daten auch tatsächlich eine inhaltliche Qualitätsverbesserung erreicht. Die übrigen zwei Drittel – mithin rund 40 % aller Daten – erfüllen nur formal die Kriterien für den kostengünstigeren Status.
Offenbar haben einige große Verlagshäuser die Hintertür im System erkannt. Sie nutzen die Möglichkeit, viele der VLB-Felder einfach mit Altdaten, sprich: Abzügen aus veralteten Datenstämmen, zu befüllen. So können sie nicht nur eine Menge Geld sparen, sondern auch ihre ehrlichen Wettbewerber schwächen. Als die Dummen fühlen sich heute jene, die in echte Qualitätserhöhung investiert haben und künftig höhere Preise zahlen sollen.
Kaum jemand bezweifelt: Würde den geschummelten Daten der Goldstatus wieder entzogen, wäre eine Preiserhöhung für alle wohl wieder vom Tisch. Laut mehreren Brancheninsidern haben insbesondere einige Fachverlage ein weit größeres Interesse daran, Kunden auf ihre eigenen Plattformen und Shopsysteme zu lotsen, als in Sachen VLB an einem Strang zu ziehen.
Die Konsequenzen der derzeitigen Situation für das VLB
Der Wert einer Datenbank wird wesentlich durch zwei Faktoren bestimmt: die Menge der Daten und ihre Qualität. Mehr Daten im VLB, auf die man sich jedoch nicht verlassen kann, sind kein Fortschritt. Und die ersten Konsequenzen sind schon sichtbar:
- Das Libri-Barsortiment verzichtet auf die Klassifikationen für Suchen nach „thema“, da zu wenig „echte thema-Klassifikationen“ von den Verlagen geliefert werden. So wird weder die Auffindbarkeit verbessert, noch der Umsatz erhöht.
- Die Branche schafft es durch den Egoismus Einzelner weiterhin nicht, Amazon nachhaltig auf Distanz zu halten – offenbar gibt es hier kein gemeinsames Interesse aller Verlage.
- Das VLB, und damit indirekt der Börsenverein und seine Mitglieder, wird durch das Verhalten einiger Mitglieder geschädigt, weil die MVB das Schlupfloch bei der Vergabe des Goldstatus nicht schließt.
Und was sagt Ronald Schild dazu? Nichts.
Warum ist das so?
Es ist nicht nötig, sich auf die Suche nach Motiven zu begeben, denn diese liegen auf der Hand: Die MVB hat ein Erlösproblem. Das ist auch der Grund dafür, dass bei der MVB in letzter Zeit eine ganz Reihe von Stellen abgebaut wurde. Insgesamt, so hört man aus der MVB, soll der Stellenabbau rund 20 % der Belegschaft betroffen haben. Kann man da erwarten, dass ein Geschäftsführer, der am wirtschaftlichen Erfolg gemessen wird, den Mund aufmacht? Insbesondere, wenn die Qualitätsverweigerer gleichzeitig auch große Kunden und Verbandsmitglieder sind? Wohl kaum. In einem Mailing an die Mitglieder des Fachbeirats bekennt die MVB, „bei der Art der Kommunikation einen Fehler gemacht“ zu haben. Aber weder hier, noch in seinem Interview auf Börsenblatt.net, klärt Schild über die eigentlichen Hintergründe auf. Nach seinen Worten „ist die Datenqualität viel schneller gestiegen als wir angenommen hatten“, was wohl nicht die vollständige Wahrheit ist.
Warum fragt das Börsenblatt in seinem Interview mit Schill nicht nach den Hintergründen für den überraschenden Qualitätssprung? Hat das Börsenblatt, das ebenfalls zur MVB gehört, etwa Sorge, dass Anzeigen verloren gehen könnten? Auch Herrn Casimir ist unter diesen Vorzeichen sicher kein Vorwurf zu machen.
Wäre es nicht vielmehr die Aufgabe des Börsenvereins, die Egoismen seiner schummelnden Mitglieder zu managen? Solange Börsenverein und MVB zu den Tricks der eigenen Mitglieder schweigen, leidet nicht nur die Qualität des VLB.
Droht der MVB eine Schieflage?
Im Interview mit dem Börsenblatt hält Schill für die Mitglieder des Börsenvereins noch an einer anderen Stelle schlechte Nachrichten bereit: „2016 wird auch für uns ein finanziell hartes Jahr. Das wird sich im Unternehmensergebnis der MVB widerspiegeln.“
Keiner will sich ausmalen, was passieren würde, wenn der Verband mit dem Klingelbeutel bei seinen Mitgliedern rumgehen müsste, um für eine Wirtschaftstochter zu sammeln, die von einigen der eigenen Mitglieder beschädigt wurde.
Äh, und was war eigentlich mit der VG Wort?