Erfahrungsbericht: Wie die Helaba ihr Firmenkundengeschäft digitalisiert

Dr. Gerhard Kebbel ist Bereichsleiter des Strategieprojekts Digitalisierung der Helaba (Landesbank Hessen-Thüringen). Der folgende Artikel ist zuerst erschienen bei Management Circle. Veröffentlichung hier mit freundlicher Genehmigung des Autors.

„Digitalisierung? Ein superspannendes Thema. Nur – uns betrifft das nicht. Wir sind eine Manufaktur.“ Der Bereichsleiter aus dem Firmenkundenvertrieb lächelte mich an. Ich sollte das Digitalisierungsprojekt in der Helaba starten – „Neues wagen“. Und dann, gleich zu Beginn, das. Aber die Aussage entsprang tiefster Überzeugung: Digitalisierung – das heißt Automatisierung, Standardisierung, neue Kommunikationskanäle, Massengeschäft. Und die Helaba? Die ist ein Spezialist für das Großkundengeschäft – Firmenkunden über 250 Mio. EUR Umsatz, internationale Immobilienfirmen, Zahlungsverkehrskunden mit Massendatenverarbeitung. Eine Manufaktur mit individuellen Produkten und Prozessen. Was soll man da denn digitalisieren?

Aus Digitalisierungslandkarten entstand die erste Projektwelle

Eine ganze Menge. In einem ersten Schritt haben wir im März 2016 in Workshops mit den Geschäftsbereichen analysiert, was sich in den jeweiligen Märkten tut. Und siehe da – die Banker wussten schon, an welchen Stellen sich Plattformen bildeten, wo FinTechs experimentierten, welche Wettbewerber neue Technologien ausprobierten. Allerdings war auch der Glaube weit verbreitet, dass das alles das Geschäft mit ihren Kunden wenig betraf. Also haben wir auch die Kunden befragt – und haben festgestellt, dass die vor allem eins wollten: Arbeitserleichterung durch Digitalisierung. Wie genau? Da kam wenig Konkretes – außer der klaren Erwartung: Ihr seid doch die Bank, bietet uns etwas an. Genau das haben wir dann getan.  Zuerst haben wir unsere Marktbeobachtungen in „Digitalisierungslandkarten“ umgesetzt, priorisiert nach Relevanz für das jeweilige Geschäft und Marktreife. Dann haben wir uns die Themen näher angeschaut, die in der rechten oberen Ecke standen – also eine hohe Marktreife und hohe Relevanz für uns haben – und aus ihnen unsere ersten Projekte ausgewählt: die erste Welle.

Agile Entwicklung will gelernt sein

Ein wesentliches Projekt dieser ersten Welle ist das Kundenportal, das sich mit jeweils besonderen Funktionalitäten an zwei Kundengruppen wendet: Firmenkunden und Immobilienkunden. Die Projektteams, die sich dann im Laufe des Prozesses zusammenfanden – wir brauchten zwei, für jede Kundengruppe eins – sollten in agiler Methodik Prototypen entwickeln, das war unser Anspruch. Man suche: Product Owner, die die Kundensicht einnehmen und für „ihr“ Portal kämpfen, Teams von der Fachseite und aus der IT, externe Moderatoren in der Design Thinking Methode. Es war schwer – intern hatte keiner Zeit, wenige Lust, extern bewarben sich viele, aber wem konnte man vertrauen? Nach endlosen Iterationen hatten wir die Teams zusammen, zwei Mitarbeiter aus unserem zentralen Digitalisierungsteam steuerten das Experiment. Die ersten vier Wochen waren ein Graus. In jedem Team war mindestens ein maulender Frustrierter, die Moderatoren stockten und stolperten, nichts schien voranzugehen. Doch dann, am Ende der ersten beiden Sprints, standen da auf den Wänden in den beiden Teamräumen zwei Kundenerfahrungen und jeweils ein Storyboard für das korrespondierende Portal. Und wir schauten uns das an und dachten: Ein Wunder.

Bei der IT-Implementierung ist Kosteneinschätzung die Herausforderung

Aus den Storyboards wurden erste Dummy-Webseiten, die die Teams auf einer Digitalisierungsparty Bereichs- und Abteilungsleitern aus den Vertriebs- und Produktbereichen präsentierten. Die Reaktion war: „Wow“ – jedenfalls bei den meisten.  Immerhin, die Motivation war jetzt riesengroß, die Prototypen wuchsen und wurden nach vier Monaten Teamarbeit im Oktober dem Lenkungsausschuss vorgestellt. Dort kam die erste Ernüchterung: die Budgets für die Umsetzung der Prototypen in funktionierende Frontends waren astronomisch, vor allem wegen der komplizierten Datenanbindung an die Backend-Systeme. Die IT traute allerdings ihren eigenen Berechnungen relativ wenig und empfahl eine Vorstudie, in der die Schnittstellen noch einmal detailliert überprüft und geeignete externe Unterstützer für die Implementierung gesucht werden sollten.

Jetzt sind wir gerade kurz vor dem Abschluss der Ausschreibung. Und – der Optimismus ist zurückgekommen. Wir haben eine hochperformante Portalsoftware und einen sowohl mit ihr wie mit unseren Back-end Systemen vertrauten Implementierungsberater ausgewählt. Die mit Hilfe beider überarbeitete Kostenschätzung liegt deutlich unter dem ersten Ansatz. Im Sommer werden wir das erste Release unseres Portals online schalten. Und selbst wenn die Blätter dann schon braun werden sollten: der Anfang ist dann gemacht. Und wir können weiter Neues wagen.

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