Im Januar 2015 hat Publishing Technology plc, einer der weltweit größten Softwarehersteller für die Buchbranche, seine Gewinnwarnung für das Geschäftsjahr 2014 bestätigt. Der neue CEO des britischen Unternehmens kann bisher kein plausibles Konzept für eine Rückkehr zu dauerhafter Profitabilität vorweisen. Stattdessen sorgt er durch Hyperzinsen für Directors‘ Loans und Andeutungen zu mysteriösen Investoren für zusätzliche Zweifel an der Liquidität des Unternehmens.
Bereits im November 2013 offenbarte Publishing Technology Probleme bei der Implementierung mehrerer großer Kundenprojekte, die zu deutlichen Einnahmeverzögerungen führten. Umso bedenklicher ist es, dass ein Ende der anschließenden Aufräumarbeiten auch im Januar 2015 noch nicht in Sicht ist, von einem Erfolg dieser Arbeiten ganz zu schweigen. Ein Blick in öffentliche, firmeneigene Statements gibt Aufschluss darüber, wie sich die Talfahrt entwickelte und wie es aktuell für das Unternehmen aussieht.
Verpatzte Kundenprojekte und sich fortsetzende Verluste – eine Chronik
- 2013 – Januar (Trading Update): Das Geschäftsjahr 2012 war gut, der Bruttoumsatz ist im Vergleich zum Vorjahr um 9% auf 16,3 Mio. GBP gestiegen. PT gibt bekannt, die Markterwartung werde voraussichtlich eingehalten. Die Entwicklung der neuen Produkte advance und Pub2web solle 2013 abgeschlossen werden. Eine Implementierung von advance für HarperCollins verspreche hohe Einnahmen.
- 2013 – August (London Stock Exchange): Die Aktie setzt zu einem Höhenflug an und verdoppelt ihren Wert innerhalb von zwei Monaten: Sie steigt von 267,5 Pence am 19.8. auf 615 Pence am 24.10. Mit der nächsten Börsenmitteilung im November 2013 beginnt der rapide Einbruch. (Die PT-Aktie hat mittlerweile nahezu zwei Drittel ihres Börsenwertes verloren und erreicht Anfang März 2015 gerade das Ausgangsniveau der Aktienhausse zu Beginn des Jahres 2013.)
- 2013 – November (Trading Update): Publishing Technology kündigt an, die Ergebnisse für 2013 würden voraussichtlich unter der Markterwartung liegen. Grund seien „[the] delayed completion of some very large and complex new product projects and additional research and development initiatives“. Diese Zusatzkosten und ihr Effekt auf Umsätze und Gewinn würden aber die Prognosen für 2014 nicht beeinflussen; man gehe weiterhin von einer stetigen Zunahme an wiederkehrenden Umsätzen durch neue Produkte und Services aus.
- 2014 – März (Veröffentlichung des Annual Report für 2013): Der Bruttoumsatz für das Jahr 2013 ist im Vergleich zum Vorjahr um 4% gestiegen, der Bruttogewinn um 2% gesunken. Dies wird mit den Verzögerungen bei drei großen Implementierungen begründet.
- 2014 – März (Appointment of Chief Executive Officer): Michael Cairns, bisher COO der Online Division, wird zum neuen CEO ernannt.
- 2014 – Juni (Trading Statement): Publishing Technology prognostiziert, dass auch die Jahresergebnisse für 2014 „below market expectations“ liegen werden. Für die zurückliegende erste Jahreshälfte werden Verluste erwartet. Begründet werden diese durch Maßnahmen zur Behebung der Implementierungs-Probleme, durch die weitere Entwicklungskosten entstehen und sich Einnahmen verzögern werden. Man sei aber zuversichtlich, dass ein Teil dieser Einnahmen bis zum Jahresende realisiert werden könne.
- 2014 – Juni (Interim Results): Im Halbjahresbericht für das Jahr 2014 zieht der neue CEO eine Zwischenbilanz und bestätigt die negativen Erwartungen aus dem November 2013 für das erste Halbjahr. Er stellt ein umfangreiches Maßnahmenpaket vor, gibt aber keinen Ausblick auf das Gesamtjahr 2014, obwohl das Halbjahresergebnis 2014 ein Defizit von 685.000 GBP aufweist, während es im Vorjahr zum gleichen Zeitpunkt noch ein positives Ergebnis von 416.000 GBP gab.
- 2014 – September (Trading Statement): Inzwischen geht das Management von PT davon aus, dass die Ergebnisse für das gesamte Jahr 2014 mit ca. 1 Mio. GBP weniger an Gewinn „significantly below the market expectations“ liegen werden. Ursache sei ein großes advance Kundenprojekt, für dessen Erfolg man noch weitere Ressourcen benötige. Publishing Technology arbeite nun für die Implementierungen von advance und pub2web mit externen Partnern zusammen. Die Forschungs- und Entwicklungsaufwände würden sich mindestens bis in die zweite Jahreshälfte 2015 fortsetzen.
- 2014 – November (Directors‘ Loans): Das Unternehmen nimmt bei einer Gruppe von Führungskräften einen unbesicherten Privatkredit (unsecured Directors‘ Loans) in Höhe von bis zu 1,25 Mio. GBP zu 12% Zinsen p.a. mit einer Laufzeit bis Ende Januar 2015 auf.
- 2015 – Januar (Trading Statement): Die Gewinnwarnung für 2014 wird bestätigt. Der realisierte Umsatz werde die Markterwartung in wesentlichem Ausmaß („materially below“) nicht erfüllen. Daher werde auch die Höhe der Verluste größer sein als erwartet. Mit den Einnahmen aus dem verzögerten Großprojekt rechnet man erst in 2015/16.
Zusätzlich gibt Publishing Technology bekannt, in Verhandlungen mit einem Investor aus Übersee zu stehen. Vorbehaltlich einer positiven Due Dilligence, der Zustimmung der Aufsichtsbehörden und der Mitgesellschafter wäre dieser bereit, einen signifikanten Minderheitsanteil am Unternehmen auf dem Weg über eine Kapitalerhöhung zu erwerben und gleichzeitig einen Aufschlag auf den Aktienpreis zu akzeptieren. Die Verhandlungen seien aber noch in einem frühen Stadium. Ob diese Transaktion überhaupt stattfinden werde, könne PT nicht garantieren.
Fragen über Fragen
Die Problemlage bei Publishing Technology ist offensichtlich vielschichtig. Hat sich das Unternehmen gleich bei mehreren Kundenimplementierungen übernommen? Verweisen die Entwicklungen auf Ursachen wie gravierendes Missmanagement und eine fundamentale Technologieschwäche? Wie sonst ist es zu erklären, dass der neue CEO im Juni 2014 ankündigte, einen CTO und einen weltweiten Projektverantwortlichen zu installieren?
Im September 2014 gab Publishing Technology offen zu:
With hindsight, too many product enhancements [for advance] were agreed to and this led to resource issues and implementation delays which have had a direct impact on revenue recognition in 2014. At the same time, the business was operating without either a Global Projects Director or a CTO to ensure that these issues were resolved quickly and efficiently.
Der CTO trat am 5. November 2014 seinen Dienst an, der „Global Projects Director ist laut Managementübersicht auf der Firmenwebsite bis Anfang März 2015 noch nicht gefunden.
Einen Hinweis darauf, dass es nicht rund läuft, geben auch die Zahlen von 2014 zum Joint Venture von Publishing Technology in China: Bei einem Umsatzanstieg von 357.000 auf 520.000 GBP (im Vergleich zum Vorjahr) ist der Profit von 102.000 auf 40.000 GBP geschrumpft.
Zum Charme des Geschäftsmodells eines vertikalen Technologieanbieters wie PT zählen die wiederkehrenden Wartungserlöse nachlaufend zu den einmaligen Lizenzerlösen. Mit einer Quote von 65% wiederkehrenden Erlösen ist PT sehr gut aufgestellt. Der KPI „recurring revenue“ ist allerdings mit Vorsicht zu genießen, kann er doch auch als Vertriebsschwäche für Neuprojekte interpretiert werden. Denn um die wiederkehrenden Erlöse realisieren zu können, muss die Software beim Kunden in aufwendigen Projekten implementiert bzw. angepasst oder gar neu entwickelt werden. Probleme bei Kundenprojekten sind daher nicht nur kurzfristig ergebnisgefährdend. Mittlelfristig verscheiben sich auch die Einnahmen aus dem sehr viel ertragreicheren, Lizenz- und Wartungsgeschäft, von einem Projektabbruch ganz zu schweigen.
Hatte/hat PT ein Liquiditätsproblem?
Wenn nun gleich in mehreren Kunden- und Produktentwicklungsprojekten Probleme auftauchen, bedeutet das: zusätzliche Aufwände. Wenn diese Probleme offenbar nur durch die nicht kostenfreie Mitarbeit von Partnern behoben werden können, fehlen nicht nur Umsätze, es steigen gleichzeitig auch die Kosten. Wie wirkt sich das auf die Liquidität aus? Ist hier der Hintergrund dafür zu sehen, dass sich das Management von PT auf die Suche nach Geld macht? Vieles spricht dafür, dass der kurzfristige Kredit mit Fälligkeit zu Ende Januar (also bis zum traditionellen Eintreffen der Jahreslizenz-Einnahmen) nötig war, dem das Unternehmen aus einer substantiellen Schräglage zu helfen. Die gewählten Mittel werfen dabei schwerwiegende Fragen auf, denn die veröffentlichten Directors‘ Loans sind gleich in doppelter Hinsicht bemerkenswert:
1. Die Verzinsung
Ein Zinssatz von 12% entspricht einem Kreditausfallrisiko bzw. einem Rating fast auf Ramsch-Niveau. Schwer vorstellbar, dass sich in London nicht auch für niedrigere Zinsen ein Kreditgeber gefunden hätte. Nach deutschem Recht wirkt das fast wie eine Veruntreuung. Warum bewerten die drei Kreditgeber und Insider Martyn Rose (Chairman, besitzt 16,56% der Unternehmensaktien, ist laut Aktionärsliste vermutlich auch Miteigentümer von weiteren 13,25%), Alan Moug (CFO, besitzt 5,67%) und Mark Rowse (Non-executive Director, 3,25%) einerseits das Kreditausfallrisiko so hoch, lassen es sich aber andererseits nicht besichern?
2. Versteckte Prämie?
Oder versuchen sie einfach persönlichen Profit aus dem Kapitalbedarf des Unternehmens zu ziehen, für den sie mit verantwortlich sind? Wenn nicht, müssen die Zinszahlungen im Fall des Chief Financial Officer Moug als Kompensation für zu Recht nicht gezahlte Boni interpretiert werden? Rowse und Rose gehören dem Management zwar nicht an, beide halten jedoch signifikante Unternehmensanteile. Warum bekommen die drei Kreditgeber durch die Verzinsung des Directors‘ Loan Geld aus dem geschwächten Unternehmen, während alle anderen Aktionäre wohl so schnell nicht mit einer Ausschüttung rechnen können? Oder wurde die Möglichkeit, von den hohen Zinsen zu profitieren allen Aktionären angeboten?
Ein weißer Ritter?
Ähnlich obskur verhält es sich mit dem ominösen Investor aus Übersee aus der Meldung von Januar 2015. Warum sollte ein Investor eine Prämie auf den derzeitig niedrigen Kurs im Rahmen einer Kapitalerhöhung akzeptieren? Schliesslich könnte er leicht ohne Prämie über die Börse und im Rahmen von Clubdeals bestehende Aktionäre auskaufen. Um das Unternehmen mit Liquidität zu versorgen, wäre es viel einfacher und weniger riskant, Fremdkapital zur Verfügung zu stellen und mit Einnahmen aus dem Wartungserlösen zu besichern. Niemand sollte überrascht sein, wenn hier nichts weiter geschieht. Die Mitteilung erweckt den Eindruck von aktionistischem Management statt einer ruhigen strategischen Hand. Fokussiert sich das Management auf die richtigen Themen? Jedenfalls hat man bereits jetzt angekündigt, die Bekanntgabe der Jahresendergebnisse 2014 für die Gruppe werde sich dieses Jahr voraussichtlich verzögern. Worin der Zusammenhang zwischen Investorengewinnung und einer verspäteten Bekanntgabe der Finanzzahlen besteht, wird nicht erklärt.
Konsequenzen für die Aktionäre
Angesichts der in der Vergangenheit stark volatilen Aktienkurse (siehe Grafik oben), die schon durch kleine Handelsvolumina bewegt werden können, muss sich das Augenmerk des Marktes auf die künftige Unternehmensbewertung richten, sollte es tatsächlich zu einer Kapitalerhöhung kommen. Insbesondere vor dem Hintergrund des vom Markt erwarteten Umsatzrückgangs (von 16,9 Mio. GBP in 2013 um erwartete 1,5 bis 2 Mio. GBP in 2014). Denn alles in allem kann der externe Analyst keinen überzeugenden Grund für positive Aussichten für das Unternehmen aus Oxford feststellen. Das einzige, was dem Aktienkurs substanziell helfen könnte, sind vielleicht Übernahmefantasien, wobei ein strategischer Käufer nicht in Sicht ist.
Ausgerechnet in einer Marktsituation, in der sich mit SAP einer der wichtigsten Player aus dem Medienmarkt verabscheidet hat und die betroffenen Kunden händeringend nach einer Nachfolgelösung für ihre SAP-Investitionsruinen suchen, scheint PT weder wettbewerbs- noch kurzfristig lieferfähig. Und die Konkurrenz schläft nicht. Niemand sollte also überrascht sein, wenn nach der Veröffentlichung der 2014er Zahlen die Gesichter der Aktionäre noch länger werden.
Das Rating für PT-Aktien hingegen kann eigentlich nur „RR“ lauten, was nicht für Rolls Royce sondern „Riskanter Ramsch“ steht.
(unter Mitarbeit von Unica Peters)